Singend Abschiede gestalten

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Alwine Deege als Fährfrau

 

Inspiriert durch die Fährfrauen in der Schweiz initiierte Alwine Deege vor 13 Jahren den Abschiedschor der Fährfrauen im Raum Aachen. Zehn Frauen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Abschiede mit ihrem Gesang zu gestalten. 

 

Abschiede selbst gestalten

Wenn ich zu trauernden Menschen gerufen werde, ermutige ich sie dazu, nicht alle Aufgaben rund um den Abschied abzugeben, sondern so viel, wie sie sich zutrauen, selbst zu übernehmen. Diese Zeit zwischen Tod und Bestattung ist eine sehr wertvolle Zeit und alles, was man selbst dabei tut, ist ein Stück Trauerarbeit.

Der Bestatter muss nur eine Aufgabe übernehmen, die wir nicht selbst ausführen dürfen- und das ist der Transport des Toten. Alles andere dürfen wir selbst tun: den toten Körper aufbahren, den Leichnam waschen und ankleiden, den Abschiedsraum liebevoll gestalten mit Musik, Tüchern, Düften, Kerzen, Blumen und den Körper in den Sarg legen. Ich ermutige die Angehörigen dazu, sich zum Abschied viel Zeit zu lassen. Es gibt meistens keinen Grund zur Eile, um den Toten abholen zu lassen. Diese Stunden am Totenbett und in der vertrauten Umgebung können sehr wertvoll sein, um Ungesagtes auszusprechen und zu realisieren, dass der Mensch nun wirklich gegangen ist. Auch ein Mensch, der im Krankenhaus gestorben ist, kann zur Aufbahrung noch einmal nach Hause geholt werden.

Gemeinsam mit den Angehörigen finde ich heraus, welche Lieder, Texte und Rituale dem Verstorbenen entsprechen und den Hinterbliebenen Trost und Hoffnung schenken oder ihrer Trauer Ausdruck geben können. Der Mensch, der gegangen ist, soll die Hauptperson sein und so dargestellt werden, wie sie gewesen ist, sodass sie präsent und erfahrbar wird. So gibt es bei der Beerdigung nochmals eine intensive Begegnung mit ihr.

Jedes Ritual braucht einen klaren Anfang und ein sichtbares Ende sowie einen Ritual-Leiter, der durch die Feier führt. Das kann ein Priester oder Trauerredner, aber auch ein Freund oder Angehöriger tun. Er muss einen sicheren Rahmen geben, der den trauernden Menschen während dieses sehr emotionalen und tiefgreifenden Ereignisses Halt gibt und der eine spirituelle bzw. geborgene Atmosphäre ermöglicht. Es ist sehr wertvoll, wenn Texte, Lieder, Musik oder persönliche Erinnerungen, Gebete und Worte die Gefühle ansprechen, die Menschen berühren und einen ehrlichen, heilsamen Ausdruck der Trauer ermöglichen. So kann ein intensiver Raum entstehen, in dem die Menschen spirituelle Erfahrungen machen können und zu ihren Gefühlen vordringen können. Es ist gut, wenn Tränen fließen können und die Trauer nicht erstarrt und kontrolliert wird. Der richtige Rahmen hilft dabei.

Nach diesem konzentrierten, tiefen Einlassen auf das Geschehen während des Abschiedsrituals ist es sehr wichtig, aus diesem  intensiven “ Raum“ hinaus zu führen. So hat der Totenkaffee nach dem Begräbnis eine wichtige Bedeutung: die Menschen werden wieder ins Leben zurückgeführt. Das Essen, Trinken und Zusammenkommen in der Gemeinschaft hilft zu realisieren: „Ich bin nicht allein mit der Trauer und das Leben geht weiter!“

Aus meiner eigenen Arbeit als Abschiedsbegleiterin, Fährfrau und Trauerbegleiterin möchte ich anhand einer eigenen Erfahrung den Abschied einer jungen Mutter beschreiben:

 

Abschied einer jungen Mutter

„Die Fährfrauen, mein Chor von 10 Frauen in Aachen, haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihrem  Gesang Abschiede würdevoll und individuell zu gestalten.  Werde ich als  Leiterin des Projektes in ein Trauerhaus gerufen kläre ich ab, wie viel Mithilfe bei der Abschiedsgestaltung gewünscht wird. Meistens geschieht dies in Zusammenwirken mit dem Priester / Trauerredner und dem Bestatter. Wir Fährfrauen  verstehen unser Angebot  als Ergänzung der bestehenden Dienste und Institutionen  und möchten hauptsächlich durch Gesang  und neue heilsame Rituale den Abschied eines Menschen begleiten. Wir  singen ohne festes Honorar, fragen einen freiwilliger Spendenbeitrag für unser Projekt.

Oft fühlen sich Trauernde von den traditionellen Ritualen und kirchlichen Liedern entfremdet; sie stimmen mit den Bedürfnissen der Trauernden oft nicht überein oder sie kennen diese nicht mehr. Dann können  wir als  Abschiedsgestalterinnen den Zurückbleibenden helfen und neue, sinnerfüllte und individuelle Rituale entwickeln sowie passende Lieder und Texte auswählen, die den Vorstellungen (der Spiritualität) und den Wünschen des verstorbenen Menschen und der Angehörigen entsprechen.

Ich werde zu einer Familie gerufen, in der die Mutter von 4 Kindern verstorben ist.

Gemeinsam mit dem Ehemann Reinhard, einem jungen Priester und Petra, einer Freundin treffe ich mich, um die Abschiedsfeier vorzubereiten. Reinhard`s Erzählung berührt mich, da ich selbst Mutter bin. Er spricht davon, wie  Susanne um ihr Leben gekämpft und dann doch den Kampf gegen den Krebs verloren hat. Die 4 Kinder haben das Sterben ihrer Mutter sehr nahe begleitet, da sie bis zuletzt zu Hause gepflegt werden konnte. Nach  ihrem Tod wird  Susanne in der Wohnung aufgebahrt und alle, auch die Freunde der Kinder, können in den ersten 2 Tagen  dort Abschied nehmen. Im Gespräch erfahre ich etwas über Ihr Leben, Ihre Ideale und auch etwas über Ihren Glauben. Die Familie trägt ihre Wünsche für die Beerdigungsfeier zusammen und  meine Ideen ergänzen die Möglichkeiten. Für uns alle ist es ein Anliegen, dass es ein schöner liebevoller Abschied wird.

Die  Bestatterin ermuntert die Kinder dazu, in den Räumen des  Bestattungshauses  den weißen Sarg der Mutter mit eigenen Symbolen zu bemalen. Dieses  eigene  Mitgestalten des Abschieds  ist für die Kinder schon ein erstes wesentliches Ritual und verhilft Ihnen zu einem kreativen Ausdruck Ihrer Gefühle. Die 10jährige Emilia malt einen Regenbogen, der 12 jährige Matthes zeichnet einen Himmel mit Sonne und Wolken  und die jugendlichen Kinder pinseln große bunte Vögel und Schmetterlinge auf den Sargdeckel. Emilia erzählt spontan an dem bemalten Sarg eine Geschichte, in der diese Symbole vorkommen. Der Vater schreibt diese Geschichte auf und so wird sie ein Beitrag für die Abschiedsfeier

 

 

Die verschwundene Herzkönigin

Die Tiere waren traurig und erschüttert, denn die Herzenskönigin ist verschwunden, – und mit ihr auch der Regenbogen am Himmel. Alle Tiere suchen nach ihr, doch keiner findet sie. Als die Tiere sich zusammenfinden, um ihre Trauer und Ratlosigkeit zu teilen, kommt einem der Tiere die Idee: “Wir können ja singen – vielleicht kommt dann die Herzenskönigin zu uns zurück!“ Als die Tiere in all ihren verschiedenen Sprachen zu singen beginnen, erscheint tatsächlich am Himmel der Regenbogen und mit ihm die Herzenskönigin, zwar unsichtbar, aber doch spürbar. Und sie sagt zu den Tieren: „Immer wenn ihr singt, bin ich Euch nahe und ihr könnt mich spüren!“ (gekürzte Version) –

vollständige Geschichte  siehe TEXTE

Es ist Freitag um 10 Uhr. Die Trauergäste und Freunde finden sich an diesem kalten Wintertag  in der Friedhofskapelle ein. Viele sind schwarz gekleidet, aber manche tragen auch bunte Kleidung, da Susanne es so mochte.  Nachdem ein junger  Priester alle begrüßt hat, singt der Abschiedschor das indianische mehrstimmige Lied „Fly like an eagle“ mit den Menschen, die gekommen waren um Abschied zu nehmen. Am buntbemalten Sarg, der im Altarraum steht, erzählt der Priester Emilias Geschichte von der verschwundenen Herzenskönigin und berichtet sehr einfühlsam und persönlich von Susannes Leben und Sterben. Die jugendliche Tochter liest einen berührenden Brief an ihre Mutter vor. Die persönlichen Abschiedsworte der Kolleginnen und Freundinnen bewegen alle zutiefst. Da viele Kinder bei der Verabschiedung dabei sind, benutze ich bei meiner Rede ein Bild des Seelenvogels, um den Kindern das Geheimnis des Todes zu erklären und ihnen zu helfen, das Geschehen bei der Beerdigung zu verstehen. Diese Vorstellung, dass die Seele weiterlebt, entspricht auch dem Glauben der Familie. Ich habe einen Handschuh dabei und erzähle die Geschichte vom Seelenvogel. Siehe unter: MORI –  Abschied gestalten- Texte

 

Der Seelenvogel

„Der Seelenvogel aus der Seelenwelt möchte auf die Erde, um als Mensch zu leben und schlüpft in einen Körper hinein (meine „fliegende“ Hand stecke ich in den Handschuh). In diesem Körper macht er all die menschlichen Erfahrungen; er lernt laufen, sprechen, tanzen, wird erwachsen, verliebt sich, streitet, wird krank und wieder gesund, ist traurig und glücklich, wächst und entwickelt sich immer weiter … bis  irgendwann der Körper so schwach und krank wird und der Seelenvogel beschließt, wieder zurückzukehren in die Seelenwelt, da er alle, für ihn wichtigen menschlichen Erfahrungen gemacht hat und gelernt hat, wofür er auf die Erde gekommen ist. (Meine Hand bewegt sich mit dem Handschuh) Er verlässt den Körper (meine Hand streift den Handschuh ab). Und so bleibt nur die leere Hülle zurück, die wir jetzt in die Erde legen können, da der Seelenvogel sie nicht mehr braucht. Und so werden wir nun diesen Körper, den Susannes  Seele einige Jahre bewohnte, beerdigen. Ihre  Seele aber kann nicht sterben, denn sie lebt in der anderen Welt weiter!“

Lieder, die berühren…

Auf dem Weg zur Grabstelle singt der Abschiedschor  ein Lied, „ Der Fluß er will fließen, heim hin zum Meer“ und viele singen mit. Als wir Fährfrauen am Grab ein gefühlvolles  Abschiedslied aus Afrika („Noyana“ – das bedeutet: „Wir sehen uns wieder im Paradies“) anstimmen, fließen bei manchen die Tränen. Die Lieder und Texte helfen, diesen schweren Augenblick zu begleiten, als der Sarg in die Erde gelassen wird. Emalia schenke ich nach dem Begräbnis ein Shanti, ein Instrument mit silbernen Klangstäben. Bei Bewegung der kleinen bunten Trommel erklingen wunderschöne Töne. Ich danke ihr für die schöne Geschichte. „Vielleicht können Dich die Töne mit Deiner Mama verbinden, die nun immer Dein Schutzengel sein wird“, sage ich ihr.

Es ist sehr wichtig, Kinder und Jugendliche bei ihren Abschieden von geliebten Menschen mit einzubeziehen und ihnen Ausdrucksformen dafür anzubieten. Ich erfahre , eine bildhafte und symbolische Sprache kann Kindern helfen, so etwas Unvorstellbares wie den Tod zu verstehen.

Quelle: Auszüge aus einem Beitrag von Alwine Deege für die deutschen Heilpraktikerzeitung (DHZ)